Natascha Wodin: Sie kam aus Mariupol, Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 2017 (12 Euro)
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Es ist eine Empfehlung aus bedrückendem, aktuellem Anlass. Bis zum Kriegsbeginn in der Ukraine im Februar war mir die Hafen- und Universitätsstadt Mariupol, gelegen am Asowschen Meer in der Ukraine, ausschließlich aus Natascha Wodins literarischer Spurensuche nach ihrer Mutter bekannt. Natascha Wodin wird 1945 in Franken als Tochter verschleppter ukrainischer Zwangsarbeiter geboren und wächst ihre ersten Lebensjahre in einem Lager für „Displaced Persons“ auf. Sie ist noch jung, erst zehn Jahre alt, als ihre Mutter sich das Leben nimmt und es vergehen viele Jahrzehnte, bis sie beginnt, den Spuren ihrer Mutter zu folgen und ihre Geschichte zu schreiben. Es ist ein beeindruckendes Buch: die Dokumentation einer Familiengeschichte, die Briefen, Fotos und Dokumenten folgt, Verwandte aufspürt und Puzzlestücke einer Familiengeschichte zusammensetzt. Und es ist ein literarisch eindrückliches Zeugnis der Jewgenia Jakowlewna Iwaschtschenko, geboren 1920 in Mariupol als Kind einer aristokratischen Familie, die den stalinistischen Terror erlebt und dann als Zwangsarbeiterin mit ihrem Mann nach Deutschland verschleppt wird; ein (Über-)Leben, an dem sie zerbricht. „Wenn du gesehen hättest, was ich gesehen habe“ – mit diesem Satz ihrer Mutter wächst Natascha Wodin auf, ohne es je aus ihrem Mund zu erfahren. „Sie kam aus Mariupol“ ist ein eindringliches, bedrückendes und fesselndes Buch. Natascha Wodin gibt ihrer Mutter ein Gesicht und eine Geschichte, die niemand (mehr) kannte und erzählt an ihrem Schicksal eine oft als Randnotiz verhandelte Teilgeschichte des Holocaust sowie eine Jugend unter Stalin in der Ukraine, gleichermaßen nüchtern wie erschütternd. (Silke van Dyk)