Forschung
Koproduktion in polarisierten Stadtgesellschaften – Wie Städte und Gemeinden Beteiligung erneuern und antidemokratische Entwicklungen aufhalten können
Beteiligte: PD Dr. Peter Bescherer, Institut für Soziologie, Uni Jena
Laufzeit: 01.11.2024–31.10.2025
Förderung: vhw – Bundesverband Wohnen und Stadtentwicklung
Gesellschaftliche Krisen und Transformationsprozesse sind vielfältig: Sozial-ökologischer Wandel, Digitalisierung, Demografie oder Migration. Was Veränderung bedeutet und wie die Herausforderungen angenommen werden, entscheidet sich besonders im lokalen Alltag. Gleichzeitig fühlt sich dieser Alltag für viele Menschen fremdbestimmt an, wichtige Entscheidungen über die eigenen Lebensverhältnisse werden offenbar anderswo getroffen. Diese Erfahrungen von Ohnmacht und politischer Entfremdung äußern sich nicht zuletzt in antidemokratischen und autoritär-populistischen Bewegungen, auf die wiederum zivilgesellschaftliche Initiativen und soziale Bewegungen reagieren. Um Transformationsprozesse zu befördern, werden in aktuellen Stadtentwicklungsdiskursen vielfach die Stärkung des gestaltenden Staates mit erweiterten Partizipationsmöglichkeiten der Bürgerinnen und Bürger als zentrale Voraussetzungen angesehen (vgl. Schellnhuber 2011). Neben Beteiligungsmöglichkeiten für die Zivilgesellschaft wird auch ein erweitertes Verständnis einer aktiven Verantwortungs- und Aufgabenteilung (Koproduktion) staatlicher und nicht-staatlicher Akteure diskutiert – und damit die ko-produktive, gemeinschaftliche Schaffung und Verwaltung öffentlicher Güter bzw. Gemeingüter. Koproduktionen mit Zivilgesellschaft, Verwaltung und Politik werden vielfach als Motor für Innovationen begriffen, sie stehen aber auch für die Übernahme partnerschaftlicher Verantwortung und für demokratische Teilhabe bei der Entwicklung von gemeinwohlorientierten Orten und Projekten.
In der Vergangenheit wurde jedoch vielfach deutlich, dass wesentliche Teile der Bevölkerung nicht an solchen Partizipationsprozessen beteiligt sind, auch aufgrund ungleicher Verwirklichungschancen und unzureichender ökonomischer und politischer Teilhabe. Diese fühlen sich meist wenig bzw. nur unzureichend repräsentiert oder schätzen den Einfluss von Partizipation und damit die eigenen Wirksamkeitserfahrungen als sehr begrenzt ein, auch durch einen oft nicht hinreichenden lebensweltlichen Bezug bestehender Partizipationsangebote. Gleichzeitig lässt sich in den letzten Jahren in Deutschland ein Erstarken rechter und antidemokratischer Parteien und Bewegungen beobachten, die auch an diesem Punkt der mangelnden Repräsentation und Wirksamkeit ansetzen und städtische Räume sowie Stadtentwicklungsdiskurse um Gemeingüter auf der lokalen Ebene zunehmend „besetzen“ (Begrich 2019; Bescherer 2019; Gerbsch/Bescherer 2019). Anfang des Jahres 2024 hat diese Entwicklung eine große Protestwelle gegen Rechtsextremismus und für Demokratie in großen und kleinen Städten ausgelöst. Stadtgesellschaften erscheinen damit (neben einer sozialen Spaltung/Polarisierung) zunehmend auch politisch polarisiert – so zeigt sich ein großes Potential für zivilgesellschaftliches Engagement und demokratische Vielfalt sowie ein wachsender Anteil von Menschen und Milieus, die nicht erreicht werden können und sich resigniert zurückziehen.
Daraus abgeleitet stellt sich hier die Frage, insbesondere mit Blick auf die mit den Zielen der Großen Transformation erforderlichen Weichenstellungen, wie es um die aktuelle Situation und somit die Rahmenbedingungen für eine Stärkung von Partizipation und Koproduktion steht. Während Koproduktion in erster Linie für den Bereich der sozialen Daseinsvorsorge diskutiert wird (Abt u.a. 2022; Bohne/Bauer 2023; Butzin/Gärtner 2017), leuchtet das Vorhaben den Zusammenhang mit Fragen von lokaler Demokratie und gesellschaftlicher Polarisierung aus.
Unerwünschtes Wissen: Zum Ausschluss der Psychoanalyse aus den Psy-Sciences in Westdeutschland, Großbritannien und den USA, 1950-1990
Beteiligte: Prof. Dr. Lisa Malich, Institut für Wissenschaftsforschung, Universität zu Lübeck Prof. Dr. Tilman Reitz, Arbeitsbereich Wissenssoziologie und Gesellschaftstheorie Dr. Mariana Schütt, Institut für Soziologie
Laufzeit: 01.06.2024 - 31.12.2025
Förderung: VW-Stiftung, Programmlinie Aufbruch – Neue Forschungsräume für die Geistes- und Kulturwissenschaften
Die Psychoanalyse bildet eine paradoxe Wissensform: Während sie in der therapeutischen Praxis als wissenschaftliches Verfahren anerkannt ist, gilt sie in den universitären Psy-Sciences als Inbegriff von Unwissenschaftlichkeit. Das Forschungsprojekt soll im Vergleich deutscher, britischer und US-amerikanischer Entwicklungen fragen, wie dieser Ausschluss trotz partieller und zeitweiliger Öffnungen zustande kam. Zu erklären ist jeweils, weshalb die anfänglichen institutionellen Erfolge der Psychoanalyse in der Nachkriegszeit nicht auf Dauer gestellt werden konnten und weshalb ihre kulturelle, politische und geisteswissenschaftliche Wirkmächtigkeit ihr akademisch womöglich eher geschadet hat. Der Ländervergleich hat dabei das Ziel, neben national spezifischen auch allgemeine Erklärungen für die akademische Nicht-Etablierung der Psychoanalyse zu gewinnen.
Wir konzentrieren uns hierfür einerseits auf die „Grenzarbeit“ der Psy-Sciences, die sich – auch angesichts der jeweiligen soziokulturellen und politischen Verortung der Psychoanalyse – als wissenschaftlich etablieren konnten. Andererseits nehmen wir den herausfordernd selbstreflexiven, nichtstandardisierten Charakter und die außerakademischen Stützpunkte, Infrastrukturen und Finanzierungsquellen der Psychoanalyse selbst in den Blick. Um dabei den fachwissenschaftlichen Debatten, den institutionellen Kontexten und den umstrittenen Kriterien von Wissenschaftlichkeit gerecht zu werden, wollen wir psychologiehistorische, psychoanalytische und wissenssoziologische Kenntnisse und Herangehensweisen verbinden. Wir hoffen so eine Lücke in der Wissenschaftsforschung zu schließen, indem wir uns an die Grenze wagen, an der Wissenschaftlichkeit selbst zur Diskussion steht.
Solidarität organisieren in der Nachbarschaft und am Arbeitsplatz (SONAR)
Gefördert vom BMBF, Laufzeit: Januar 2023 bis Dezember 2025
Wissenschaftliche Mitarbeiter:innen: Judith Weger, Raoul Nozon, Peter Bescherer, Josephine Garitz, Marina Blum (wiss. Assistentin), Timon Thorsten Ahlborn (wiss. Assistent)
Projektkoordination und wissenschaftliche Mitarbeiter: PD Dr. Peter Bescherer
Projektleitung: PD Dr. Peter Bescherer
In Zeiten nicht enden wollender Krisen wird vielfach der Ruf nach mehr Solidarität laut. Zumeist verbleibt dieser Ruf auf einer symbolischen Ebene, der die getrennten Menschen unserer Gesellschaft wieder zusammenführen soll. Das Projekt SONAR sucht hingegen in der Praxis der Menschen nach dem Potenzial für gelebte Solidarität, die Trennungen überwindet. Ein Ansatz sozialer Bewegungen, der diese Praxis hervorbringt, ist das sogenannte Organizing in den Feldern der gewerkschaftlichen und nachbarschaftlichen (v.a. wohnungspolitischen) Konfliktaustragung. Hier kommen unter einem gemeinsamen Ziel unterschiedliche Mitglieder der Gesellschaft zusammen. Sie lernen sich kennen, bringen sich mit ihren eigenen Fähigkeiten ein und teilen Erfolge und Niederlagen.
Diese Gemeinsamkeit trifft aber auf die (scheinbar) individuellen Deutungsmuster, mit denen sich die Menschen ihre Welt erklären. Alltagsrassismus dient dabei oftmals als Erklärung für den Zustand der Gesellschaft und ihren Versagungen gegenüber dem Individuum. Ohnmachtserfahrungen und Ungerechtigkeitsempfindungen begünstigen die Rassifizierung gesellschaftlicher Zusammenhänge und schaffen somit erneut Raum für Rassismus und Rechtspopulismus.
Um dem entgegenzutreten, bedarf es der Erweiterung der gesellschaftlichen Handlungsfähigkeit und der Erfahrung kollektiver Organisierung. Dabei hat Organizing nicht primär ein antirassistisches Ziel vor Augen. Vielmehr versuchen die Organizer:innen in ihren jeweiligen konkreten Zielstellungen, die Widersprüchlichkeit der alltäglichen Deutungsmuster – so auch des Alltagsrassismus – aufzuzeigen. Doch selbst wenn der Rassismus als gesamt-gesellschaftliches Problem anerkannt ist, kann man ihn nicht einfach durch richtige Argumente aufklären oder durch engagierte Pädagogik „weg-erziehen“. Antirassismus muss daher neben der Stärkung der Betroffenen rassistischer Diskriminierung an den sozialen Kontexten des Rassismus ansetzen. So können auch die Blockaden für die Individuen selbst gemeinsam kritisierbar werden. Die organisierte Basis zu erweitern und Trennungen zu überwinden sind Grundlagen des Organizings.
Hieran anschließend untersucht das Projekt SONAR Möglichkeiten und Grenzen des gewerkschaftlichen und nachbarschaftlichen Organizings bei der Bekämpfung von Rassismus und der Stärkung von Solidarität. Mithilfe von Methoden der rekonstruktiven Sozialforschung (qualitative Interviews, Ethnografie, aktivistische Forschung) wird erforscht, wie Teile der organisierten Beschäftigten und Mieter*innen ihre prekäre Arbeits- und/oder Wohnsituation unter Rückgriff auf Alltagsrassismus und rechten Populismus deuten. Im Gegenzug wird der These nachgegangen, dass die in Arbeits- oder Mietkämpfen erlebte Solidarität und kollektive Wirksamkeit rechte Denk- und Handlungsformen schwächen oder sogar auflösen können.
Mit Arbeitswelt und Nachbarschaft werden zwei soziale Felder in den Blick genommen und bezüglich ihrer Beziehungen betrachtet, in denen zentrale gesellschaftliche Auseinandersetzungen um Teilhabe, Demokratie und Zusammenhalt stattfinden. Nachdem sie lange als verschiedene Sphären der Produktion und Reproduktion verstanden wurden, ist ihre Trennung aktuell mehr denn je zu hinterfragen.
Neben diesem sozialtheoretischen Erkenntnisinteresse zielt das Projekt auf anwendbare Ergebnisse ab, etwa auf Bildungsmaterialien für den Erfahrungstransfer zwischen beiden Praxisfeldern. Die geplante Forschung arbeitet damit die zweifellos umstrittene, aber gesellschaftspolitisch zentrale Rolle von gewerkschaftlicher und wohnungspolitischer Interessenvertretung bei der Stärkung der Demokratie heraus.
weitere Informtionen: https://sonar-projekt.de/Externer Link
Geistiges Eigentum: Soziale Einbettung und funktionale Äquivalente
Leitung:
Prof. Dr. Tilman Reitz, Universität Jena, Arbeitsbereich Wissenssoziologie und Gesellschaftstheorie
Dr. Sebastian Sevignani, Universität Jena, Arbeitsbereich Allgemeine und Theoretische Soziologie
Laufzeit: 01.01.2021-31.12.2024
Förderung:
DFG, Teilprojekt C05 im Sonderforschungsbereich 294 "Strukturwandel des Eigentums"
Mitarbeiter/innen:
Marlen van den Ecker
Beschreibung:
Das Teilprojekt untersucht, inwiefern in der postindustriellen Ökonomie Bedarf entsteht, das Eigentum an den öffentlichen Gütern Wissen und Information neu zu regeln. Wie werden hier problematisch gewordene Zugangsbeschränkungen durchgesetzt und gerechtfertigt? Welche Arrangements erlauben es, Wissen und Information ggf. auch ohne exklusive Eigentumsrechte zu kontrollieren und zu verwerten? Welche Konflikte entstehen, wenn wenige Akteure Gewinn aus breiten geistigen Austauschprozessen schlagen, und welche Lösungen zeichnen sich ab? Hierzu sollen in der ersten Förderphase anhand der Ökologien von Internetfirmen und Online-Gemeinschaften empirisch fundierte theoretische Antworten generiert werden.
Weitere Informationen: https://sfb294-eigentum.de/de/teilprojekte/geistiges-eigentum/#projektbeschreibungExterner Link
Movements of Europe. Transnationale soziale Bewegungen und Bruchlinien der Solidarität (MovE)
Gefördert vom BMBF, Laufzeit: Januar 2021 bis August 2024
Wissenschaftliche Mitarbeiter:innen: Dr. Peter Bescherer (bis 12/2022), Dr. Bue Rübner Hansen, Dr. Manuela Zechner
Projektkoordination und wissenschaftliche Mitarbeiterin: Gisela Mackenroth
Projektleitung: Prof. Tilman Reitz
Das Projekt analysiert europapolitische Perspektiven sozialer Bewegungen, um Spannungen zwischen lokaler, nationaler und europäischer Ebene auszuloten und Ansätze zu ihrer Bewältigung zu erarbeiten. In Kooperation mit Praxispartnern aus der Stadt-, Geschlechter- und Klimapolitik werden verschiedene Aspekte untersucht: a) wie sich lokale Ansätze im europäischen Raum zu organisieren und zu verorten versuchen und wie sie sich dabei b) zu transnationalen Regelungskontexten, besonders zu den Institutionen der EU verhalten. Zudem wird c) analysiert, auf welche Vermittlungsgrenzen die Bewegungen stoßen, zumal in Feldern, in denen Kritik an europäischen Institutionen und Umgestaltungsprozessen auch nationalistisch und rechtspopulistisch aufgefasst wird. Dafür werden sowohl die grenzüberschreitenden Perspektiven der jeweiligen Akteure als auch – anhand vergleichender Fallstudien – die Konflikte und Grenzen ihres Engagements untersucht.
Für die Durchführung der Forschungen und die Verwertung der Resultate sieht das Projekt Kooperationen mit Praxispartnern aus verschiedenen europäischen Ländern vor, die Erfahrungen zugänglich machen und denen ein Austauschforum geboten wird. Im Einzelnen sind dies wohnungspolitische Initiativen des Netzwerks „European Coalition for the Right to Housing and to the City“, verschiedene Initiativen zum Frauen*streik und für ökologische Landwirtschaft. Überschneidungen zwischen ihren Tätigkeitsfeldern (etwa im Gebiet kommunaler Care-Infrastrukturen) sollen ebenso bearbeitet werden wie mögliche Zielkonflikte und potenziell gemeinsame Probleme in der Vermittlung lokaler, nationaler und transnationaler Ebenen (in Themengebieten wie Energieversorgung oder Konflikten zwischen kosmopolitischen und lokalen Orientierungen).
Für die Erforschung der Bewegungspraxis und die kooperative Wissensproduktion kommen Methoden der qualitativen Sozialforschung und der transformativen Aktionsforschung zum Einsatz, die Ergebnisse werden für öffentliche Debatten aufbereitet.
Populismus und Demokratie in der Stadt (PODESTA)
Verbundvorhaben mit dem Internationalen Zentrum für Ethik in den Wissenschaften der Uni Tübingen (www.uni-tuebingen.deExterner Link)
Gefördert vom BMBF, 2017-2020 (www.bmbf.de)Externer Link
Teilvorhaben der Uni Jena: Populismus und nicht-normierte Demokratie
Projektmitarbeiter: Dr. Peter Bescherer (Koordination), Dr. Robert Feustel
Im Gefolge der jüngsten Finanz- und Wirtschaftskrisen verschärft sich der Trend zu sozialer Polarisierung. Wachsende Teile der Bevölkerung fühlen sich abgehängt oder ausgeschlossen und verlieren das Vertrauen in die Verfahren repräsentativer Demokratie. Hier setzen populistische Politikangebote an. Ihre Grundmuster - Kritik sozialer Eliten, Personalisierung und Moralisierung von Politik - machen sich auch an aktuellen Problemen der Stadtentwicklung fest, von Gentrifizierung und Segregation bis zu mangelnden Mitwirkungschancen. Das Forschungsprojekt soll interdisziplinär untersuchen, wie sich verschiedene (institutionelle und nicht-institutionelle) Akteure im Handlungsfeld Stadt mit der populistischen Herausforderung auseinandersetzen. Dafür wird eine Perspektive gewählt, die sowohl (soziologisch) die Lebensumstände der Beteiligten untersucht als auch (mit praktischer Philosophie) ihre ethisch-politischen Selbstverständnisse ernst nimmt. Die Forschungsleitfragen lauten: 1) Wie kann eine Verbesserung krisenhafter Lebensbedingungen dazu beitragen, die gesellschaftliche Spaltung zwischen ‚Volk’ und ‚Eliten’ zu verhindern? 2) Wie können zivilgesellschaftliche städtische Initiativen Kritik an den politischen Institutionen in demokratisierender Weise aufnehmen?
Die soziologisch-empirische Grundlage zur Beantwortung der Forschungsfragen bildet: 1) eine Dokumenten- und Medienanalyse, die den Rechtspopulismus als Ausdruck und Verstärker von Problemen der Stadtentwicklung untersucht; 2) die Untersuchung von Mikrokonflikten der Stadtentwicklung in Leipzig mit verschiedenen Methoden der qualitativen Sozialforschung, darunter Interviews mit Akteuren aus Kommunalpolitik und -verwaltung, zivilgesellschaftlichen Initiativen und den von ihnen adressierten Bürgerinnen und Bürgern. Im FSU-Teilvorhaben werden die empirischen Befunde mit Fokus auf demokratietheoretische Fragen ausgewertet und zu anwendbaren Modellen für die Praxis aufbereitet.
Die innovative Bedeutung des Forschungsvorhabens liegt in der Verknüpfung von Stadtforschung mit Demokratietheorie einerseits und der methodischen Orientierung am - viel diskutierten, aber praktisch- methodologisch unterentwickelten - Konzept der Öffentlichen Soziologie andererseits. Die wissenschaftliche Verwertung der Projektergebnisse in Form von Publikationen, Konferenzbeiträgen oder Qualifizierungsarbeiten dokumentiert zivilgesellschaftliche Antworten auf den erstarkten Rechtspopulismus, die sich im konkreten Kontext städtischer Konflikte (um Wohnen/Miete, Großbauvorhaben, Partizipation, Integration u.a.) mit Fragen der Moralisierung und Entmoralisierung des politischen Diskurses und der Herausforderung des politischen Liberalismus auseinandersetzen. Die wissenschaftliche Theorienbildung wird damit angeregt und es werden Anschlussstellen für die weitere Forschung (etwa zum Populismus in demographisch-krisenhaften ländlichen Räumen) geschaffen. Die praktische Verwertung der Projektergebnisse erfolgt in Form der (Weiter-)Entwicklung von Strategien und Konzepten demokratisch- zivilgesellschaftlicher Akteure im Umgang mit dem Populismus. Die enge Kooperation mit dem lokalen Praxispartner ist selbst ein Bestandteil dieser praktischen Anwendung, insofern der lineare Forschungsprozess und die objektivierende Herangehensweise in kontrollierter Weise durchbrochen werden. In diesem Sinne werden die Forschungsbefunde in projektbegleitenden Workshops gemeinsam mit den Praxispartnern diskutiert und Projektergebnisse werden in Medien der zivilgesellschaftlichen Selbstorganisierung (Blogs, Mieterzeitschriften, Newsletter o.ä.) vorgestellt. Eine öffentliche Abschlussveranstaltung und ihre Dokumentation sollen ein wissenschaftlich-bewegungspolitischer Mischformat haben. Die gewonnenen Befunde und Erfahrungen haben exemplarischen Charakter, so dass sie auch über die lokalen Kontexte hinausweisen.
Perspektiven der Mitbestimmung in ganzheitlichen Produktionssystemen
Die Bemühungen um eine humanisierte und verstärkt selbstverantwortliche Arbeit, die in den 1980er und 1990er Jahren verbreitet waren, sind heute zu großen Teilen in Ganzheitliche Produktionssysteme (GPS) eingemündet. Diese Systeme nutzen die neuen Möglichkeiten informationstechnischer Steuerung und gelten - ausstrahlend von der Automobilindustrie - zunehmend als avancierteste Form, betriebliche Prozesse zu erfassen und zu optimieren. Die Hoffnungen, gestalterische Kompetenzen und Selbstverantwortung der Beschäftigten auszuweiten, sind dabei jedoch nur begrenzt zum Zug gekommen. GPS scheinen vielerorts v.a. Leistungsdruck zu erhöhen, nicht jedoch Mitwirkungschancen, und statt das implizite Wissen der Beschäftigten aufzuwerten, sind sie eher auf seine Extraktion und Zentralisierung angelegt. Die Forschungsgruppe untersucht auf wissenssoziologischer Grundlage und in praktischer Perspektive, inwieweit es möglich ist, den Ansatz produktiver Mitbestimmung in GPS neu zur Geltung zu bringen.
Im Einzelnen sind ihre Ziele:
- a) die aktuelle Bedeutung von GPS für die Gestaltungsmöglichkeiten der Beschäftigten zu identifizieren,
b) den veränderten Status von Beschäftigtenwissen und -kompetenzen im Rahmen von GPS zu erfassen, und
c) Perspektiven sowie anwendbare Instrumente weitergehender Demokratisierung zu entwickeln.
Die Grundidee ist dabei, dass erweiterte betriebliche Selbstreflexion immer zwei Seiten hat. Techniken, mit denen Arbeit und Kommunikation tiefenscharf kontrolliert werden, könnten auch Beschäftigte in die Lage versetzen, fortlaufend ihr Aufgabenfeld zu gestalten, über dessen Rahmen mit zu entscheiden und Arbeitsanforderungen mit ihrer Lebensführung zu koordinieren. Das Vorhaben ist methodisch explorativ angelegt und soll neue Impulse ins untersuchte Feld tragen. Dazu werden empirische Forschung (schwerpunktmäßig in a), theoriegeleitete Analyse (besonders in b) und die Sondierung neuer praktischer Chancen (besonders in c) verbunden.
Theoretisch soll die Nachwuchsforschergruppe nicht nur arbeitssoziologische Diskussionen, sondern auch Impulse der Wissenssoziologie und der Demokratietheorie aufnehmen. Als Grundlage bietet sich einerseits die Debatte um die "Wissensgesellschaft" an, in der bereits früh Perspektiven kommunikativer Selbstverwaltung sowie intelligenter Organisation Thema waren. Das Forschungsfeld zeigt die Spannung zwischen diesen Motiven: Das zunehmend relevante Prozesswissen der Produzierenden kann partizipatorisch genutzt werden, ihnen aber auch als Wissensmanagement entgegen treten - womit häufig die Chance vertan wird, dass die Beschäftigten ihr inkorporiertes und kommunikatives Wissen freiwillig einbringen. Daher wird es andererseits sinnvoll, erneut die prominent von Boltanski/Chiapello und in den Governmentality Studies vertretene Annahme zu prüfen, dass der flexible Kapitalismus im Kern Selbstverantwortung für Profitzwecke mobilisiert.
Empirisch bieten GPS einen guten Ausgangspunkt, um die in der Arbeitssoziologie verbreitete Relativierung dieser These zu unterfüttern: Retaylorisierung und Kennzahlensteuerung schränken die programmatische (Teil-)Autonomie der Arbeitenden inzwischen stark ein. Dies gilt es in einzelnen Betrieben exemplarisch zu untersuchen. Zudem ist hier zu erheben, in welchen Maß und zu welchen Anteilen GPS die neuen Managementkonzeptionen der 1980er und 90er Jahre (wie Lean Production, Kaizen/kontinuierliche Verbesserungsprozesse, flexible Standardisierung und teilautonome Gruppenarbeit) faktisch aufnehmen. Praktisch-explorativ wird so schließlich ein neuer Blick auf die kritische These möglich, dass Autonomiegewinne der Beschäftigten bloß neue Formen der "Regierung" bedeuten. Zu erwarten ist vielmehr, dass zentrale Kontrolle und dezentrale Entscheidungen, Partizipation und Top-Down-Verfahren, die Einbeziehung oder Nichtberücksichtigung von Beschäftigtenwünschen vielerorts kollidieren. Die Techniken betrieblicher Selbstbeobachtung, Auditierung und Standardisierung bieten Ansatzpunkte, um solche Konflikte zu erkennen und ggf. sogar neue partizipatorische Standards zu etablieren. Wie viel Wirtschafts- und Wissens-Demokratisierung damit möglich wird, ist die offen gestellte Frage der Forschungsgruppe.