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Foto: Jan-Peter Kasper (Universität Jena)

Dass fossile Rohstoffe wie Öl, Kohle und Gas in Zukunft nicht mehr in dem bisher gewohnten Maße als Energiequellen und Basismaterialien industrieller Produktion zur Verfügung stehen werden, ist heute allgemein bekannt: Sie sind nur begrenzt verfügbar und haben vor allem katastrophale Auswirkungen auf das Klima. Von dieser Erkenntnis geht auch die wissenschaftliche und politische Diskussion um die Bioökonomie aus. Sie zielt darauf, für die vielen bisher von fossilen Rohstoffen erfüllten Anwendungszwecke künftig Ersatzlösungen auf der Grundlage von Stoffen pflanzlicher und tierischer Herkunft zu finden.

Die BMBF-geförderte Nachwuchsgruppe „Mentalitäten im Fluss“ (flumen) ist am Institut für Soziologie der Universität Jena angesiedelt. Sie untersucht aus soziologischer und historischer Perspektive, wie sich die Grundhaltungen, Einstellungen und gemeinsamen Vorstellungswelten von Menschen verändern, wenn sich die Rohstoff- und Energiebasis der Gesellschaft, in der sie leben, weg von fossilen und hin zu bio-basierten Grundstoffen verschiebt. Bio-basierte Kreislaufwirtschaften, so unsere Annahme, verlangen und bedingen andere Formen von Zeit- und Zukunftsbewusstsein, Selbst- und Weltverhältnissen, kurz: andere Mentalitäten als fossile Durchflusswirtschaften.

 

Gruppenfoto

Foto: Flumen

Gesamtziel des Vorhabens

Ziel des Vorhabens ist, mit Hilfe von Methoden der empirischen Sozialforschung erstmals ein umfassendes Bild der Auswirkungen des Übergangs von linearen Durchfluss- zu auf zirkulären Flüssen biologischer Grundstoffe basierenden Wirtschaften auf a) Vorstellungswelten und alltagspraktisch verankerte Grundhaltungen, mit denen Menschen dem Wandel begegnen (Mentalitäten) sowie b) die Veränderung in der sozioökonomischen Zusammensetzung der Bevölkerung im Übergang zu einer derart wirtschaftenden Gesellschaft (Sozialstruktur) zu gewinnen. Darüber hinaus sollen die Ergebnisse Prognosen über mögliche soziale Konflikte und Folgeprobleme des Überganges zur Bioökonomie ermöglichen, die ein wichtiges Grundlagenwissen für künftige politisch-soziale Weichenstellungen darstellt. Wertvoll sind die zu erwartenden Erkenntnisse in erster Linie für die gesellschaftlich-politische Debatten über die Zukunft moderner Gesellschaften unter Bedingungen der Transformation weg von einer linear-fossilen hin zu einer auf zirkulären Flüssen biologischer Rohstoffe basierenden Wirtschaft.

Theoretische Grundlage

Gesellschaften und ihre Energiequellen

Es gibt zentrale Unterschiede zwischen fossilen Ressourcen auf der einen und pflanzlichen Rohstoffen und erneuerbaren Energien auf der anderen Seite. Diese Unterschiede beeinflussen grundlegend die Mensch-Natur-Beziehungen. Das betrifft die Handlungsmöglichkeiten, die die jeweilige Ressourcenbasis den Einzelnen und der Gesellschaft als Ganzer eröffnen, die Formen und die Verteilung von Arbeit in der Gesellschaft sowie die Vorstellungen, die Menschen sich von der Welt und ihrer eigenen Stellung darin machen. Fossile Ressourcen kommen in riesigen Reservoirs im Boden vor, ihre Nutzung konnte in den letzten zwei Jahrhunderten immer weiter gesteigert werden, und dadurch wurde es für viele Menschen zu einer Selbstverständlichkeit, dass Energie und fossil basierte Produkte immer und überall verfügbar sind. Im Unterschied dazu wachsen biologische Rohstoffe nur mit begrenzter Geschwindigkeit und schwankendem Ertrag nach, und die Gewinnung erneuerbarer Energien hängt von natürlichen Bedingungen wie Bodenqualität und Wetter ab. Biologische Wachstumsprozesse lassen sich technologisch möglicherweise schrittweise beschleunigen und optimieren, aber dies hat Grenzen, und die Verfügbarkeit von Energie und Gütern wird sich so nicht in vergleichbarer Weise auf lange Sicht immer weiter steigern lassen.

Historischer Bezug

Historische Forschungen zeigen, dass die immer weitere Steigerung der Verfügbarkeit von fossiler Energie in der Moderne mit der Entstehung von Vorstellungswelten und alltagspraktisch verankerten Grundhaltungen (Mentalitäten) einher ging, die ihrerseits auf permanenten „Fortschritt“ und einen stetig steigenden Lebensstandard ausgerichtet waren. Wir gehen deshalb davon aus, dass die Umstellung von fossilen Durchflusswirtschaften auf bio-basierte Kreislaufwirtschaften eine ähnlich umfassende sozial-ökologische Transformation bedeuten wird. Diese beinhaltet nicht nur einen weitreichenden Umbau der materiellen Infrastrukturen der Wirtschaft (Energienetze, Produktionsanlagen, Verkehrssysteme), sondern auch Veränderungen der „mentalen Infrastrukturen“ (Harald Welzer): der in den Köpfen der Bevölkerung verankerten Vorstellungen und Erwartungen im Hinblick auf das eigene Leben, die Gesellschaft und die Zukunft.

Bioökonomie und Erwerbsstruktur

Die Bioökonomie wird auch zu grundlegenden Verschiebungen in der Arbeitsteilung innerhalb der Bevölkerung führen. Diese ergeben sich nicht nur direkt aus der veränderten Wirtschaftsstruktur, indem in bio-basierten Wirtschaftszweigen andere Arbeitskraftbedarfe entstehen. Vielmehr werden sich Verschiebungen in der Arbeitsteilung auch indirekt aus den veränderten Vorstellungen, Erwartungen und Ansprüchen der Menschen ergeben - etwa durch geringere Nachfrage nach kommerziellen Produkten und Dienstleistungen zugunsten größerer Bedarfe an Sorgetätigkeiten und bürgerschaftlicher Eigenarbeit. Auch wie diese Veränderungen von Berufsstruktur und Erwerbsstatus der Bevölkerung genau aussehen, wird in der Nachwuchsgruppe untersucht. Besonders interessiert uns dabei die Frage, welche alternativen Orientierungen zur in fossilen Wirtschaften prägenden Logik ständigen Wachstums in modernen bio-kreislaufbasierten Gesellschaften bestimmend werden, und was dies für Mentalitäten und gesellschaftliche Arbeitsteilung bedeutet.

Methodik

Wir bearbeiten diese Fragen mit einer Reihe unterschiedlicher Forschungsmethoden. Fallstudien in unterschiedlichen Ländern Europas (u.a. Finnland und Estland) beleuchten die Auswirkungen bioökonomischen Wandels in Orten oder Regionen, wo bio-basiertes Wirtschaften schon heute eine wichtige Rolle im Alltag spielt. Dazu werden statistische Daten zu Struktur und Verschiebungen der Erwerbstätigkeit in den Forschungsregionen erschlossen und ausgewertet. In historischer Archiv- und Literaturarbeit werden zudem – als kontrastierender Vergleich zu den anstehenden Umbrüchen – frühere Mentalitätstransformationen im Zuge der Durchsetzung des fossil basierten Wirtschaftens aufgearbeitet. Mit einer repräsentativen Befragung sollen im weiteren Verlauf verbreitete Haltungen zum bioökonomischen Strukturwandel erfasst werden. Damit wollen wir aufzeigen, wie sich unterschiedliche soziale Gruppen in ihrem Verhältnis zum Wandel der biophysikalischen Basis des Wirtschaftens unterscheiden.

Diese Fragen sind für die Zukunft der Gesellschaft von großer Bedeutung. Daher wollen wir uns mit unserer Arbeit auch immer wieder an die interessierte Öffentlichkeit wenden und unsere Forschungsergebnisse durch Vorträge, Diskussionsrunden, Workshops mit an der Transformation beteiligten Gruppen und allgemein verständliche Berichte zur Diskussion stellen.

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