Bestpreise für Abschlussarbeiten des Studienjahrs 2019/20
Politisches System der Bundesrepublik Deutschland
Büchergutschein im Wert von 100 Euro gestiftet vom Institut für Politikwissenschaft
Viktor Heeke: „Negative Campaigning und positive Selbstdarstellung – der Landtagswahlkampf der AfD Thüringen 2019“
Der sehr sprechende Titel sagt bereits, worum es in der Arbeit von Herrn Heeke geht: Den Landtagswahlkampf der AfD in Thüringen im letzten Jahr vor allem daraufhin zu untersuchen, ob – wie bei einer rechtspopulistischen Partei zu erwarten – überwiegend auf negative campaigning gesetzt wurde.
Er hat die Facebook- und Twitter-Accounts sowohl des Landesverbands als auch des Spitzenkandidaten Björn Höcke ausgewertet, aber über die social media hinaus auch analoge Daten aus den Wahlplakaten, dem Fernsehspot (bei LT-Wahlen haben Fernsehspots traditionell wenig Bedeutung), dem MDR-Sommerinterview von Höcke sowie drei wichtige Wahlkampfreden von ihm und schließlich die Pressemitteilungen der AfD-Landtagsfraktion erhoben. Daraus ergab sich Datenkorpus von 540 Untersuchungsmedien mit insgesamt 1.563 Aussagen, der nach einem methodisch sehr reflektierten Kodiersystem geordnet und dann mithilfe deskriptiver Statistik ausgewertet wurde.
Das eigentlich Erfreuliche an der vorliegenden Arbeit ist jedoch neben der methodischen Sorgfalt, dass sie relevante, wichtige Forschungsergebnisse liefert. So ist der hohe Anteil negativer Wahlkampfaussagen in allen Medien bemerkenswert, mit einer Ausnahme: Im MDR-Sommerinterview, das von einem viel breiteren Publikum als die Tweets oder Facebook-Posts wahrgenommen wird, hat Björn Höcke ganz offenkundig „Kreide gefressen“. Dagegen ist die Erkenntnis, dass „`sachliche´ oder `eher sachliche´ Kritik am politischen Gegner bei sämtlichen analysierten Wahlkampfmedien eindeutig dominiert“, ziemlich überraschend. Herr Heeke kann jedoch zeigen, dass es zwischen den verschiedenen Medien erhebliche Unterschiede gibt und das Muster des Sommerinterviews sich zu wiederholen scheint: Dort, wo die AfD zu Anhängern kommuniziert, ist die Kritik am politischen Gegner sehr viel polemisch-unsachlicher als in der Gesamtschau; „das Negativwahlkampfmedium Nummer eins“ ist mit einigem Abstand Twitter.
Aus den zahlreichen Ergebnissen ragt eines heraus: Überraschenderweise übersteigt die Zahl der Aussagen zu Umwelt- und Klimapolitik die zur Asyl- und Migrationspolitik um einiges (außer in den drei untersuchten Höcke-Reden). Außerdem ist auch der Anteil zur Bildungspolitik überraschend hoch, was Herr Heeke zu Recht der Bedeutung des Themas auf der Landesebene zuschreibt.
Insgesamt eine sehr überzeugend konzipierte, methodisch differenzierte und selbständig durchgeführte Untersuchung eines hochrelevanten Themas!
apl. Prof. Dr. T. Oppelland
Politische Theorie
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Maximilian Fischer: „Direkte Demokratie als politisches Instrument. Wer profitiert von der Volksgesetzgebung in den Bundesländern?“
Eine der zentralen politischen Entscheidungen, die bei der Verabschiedung des Grundgesetzes im bewussten Gegensatz zur Weimarer Republik getroffen wurde, ist die Eliminierung von Volksentscheiden auf Bundesebene. Inzwischen sind auf Landes- und Kommunalebene allerdings in unterschiedlicher Ausstattung und Reichweite plebiszitäre Elemente eingefügt worden. Die politikwissenschaftliche Forschung ist der Auffassung, dass Volksentscheide überwiegend die konservativen Parteien begünstigen. Ob dies auch für die Länder der Bundesrepublik gilt, ist Gegenstand der Masterarbeit von Maximilian Fischer.
Die Arbeit untersucht empirisch „die direktdemokratischen Verfahren, die zwischen 1990 und 2018 auf der Ebene der Bundesländer stattfanden“ und ordnet sie die Ergebnisse in ein Links-Rechts-Schema ein. Methoden und Prozeduren werden detailliert betrachtet und zugleich historisch in die Weimarer und Bundesrepublikanische Verfassungstradition eingegliedert.
Der Verfasser geht sehr differenziert vor. Er betrachtet nicht nur das Endergebnis des Verfahrens, sondern auch die verschiedenen Phasen der immerhin 223 Einleitungsverfahren im Untersuchungszeitraum. Damit gelingt es ihm, für die einzelnen Verfahren zu analysieren, wann und wie sie ggf. gescheitert sind. Ein erstes Zwischenergebnis zeigt, dass der Mobilisierungsgrad „linker“ Vorhaben zunächst deutlich höher ist als der „rechter“ Verfahren.
Das Fazit der Arbeit ist eindeutig: „Die empirischen Befunde ergeben, dass die direkte Demokratie auf Landesebene eine linkspolitische Wirkung hat. Diese war sowohl in allen drei Phasen der Volksgesetzgebung insgesamt nachweisbar, als auch in vier der fünf einzelnen Themenbereichen mit Ausnahme der Bildungspolitik, in der ein gegensätzlicher Trend nicht ausgeschlossen werden kann.“ Die Signifikanz dieser Ergebnisse ist offensichtlich und weitreichend: die empirische Untersuchung der Volksentscheide in Deutschland widerlegt den theoretischen Befund früherer Untersuchungen, bzw. sie zeigt einen Unterschied zwischen Gebrauch und Ergebnissen von Volksentscheiden in Deutschland und in anderen Ländern wie der Schweiz und den USA, die Gegenstand der meisten bisherigen Studien waren, auf.
Die Arbeit ist ein Musterbeispiel für eine theoriegeleitete empirische Untersuchung, die bestehende politikwissenschaftliche Theorien zum Ausgangspunkt nimmt und sie im Ergebnis, das mit aller Vorsicht und Caveats vorgetragen wird, wenigstens für den Untersuchungszeitraum und den Untersuchungsraum widerlegt. Mehr kann man von einer Masterarbeit wirklich nicht verlangen. Eine eigenständige Fragestellung wird empirisch überprüft und erweitert unser Wissen um einen in Wissenschaft und Politik äußerst umstrittenen Gegenstand ganz erheblich. Eine ganz ausgezeichnete Leistung des Verfassers!
apl. Prof. Dr. Michael Dreyer
Internationale Beziehungen
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Simon Lang: „Die Handels- und Rohstoffpolitik der Europäischen Union im Kontext historisch-dynamischer Prozesse und gesellschaftlicher Kräfteverhältnisse – Das Beispiel des Wirtschaftspartnerschaftsabkommens mit der Entwicklungsgemeinschaft des südlichen Afrikas”
Die Examensarbeit von Simon Lang behandelt Entstehung und Inhalt des Wirtschaftspartnerschaftsabkommens (EPA) der Europäischen Union (EU) mit der Entwicklungsgemeinschaft des südlichen Afrika (SADC) von 2014, um die Rohstoffpolitik der EU an einem Fallbeispiel tiefer zu ergründen. Die Arbeit orientiert sich am historischen Materialismus, wobei die Kapitalismuskritik von Marx sinnvoll erweitert wird um neuere Autoren der Theorieschule, v.a. mit Blick auf weltwirtschaftliche Imperialismuskritik und die Rückwirkungen von Freihandel auf Entwicklungsländer. Dieser bewusst normative Ansatz wird von Anfang an reflektiert eingesetzt und plausibilisiert. Der methodische Zugang wird nachvollziehbar aus derselben Theorieschule gewählt.
Der empirische Teil der Arbeit skizziert zunächst sehr kompetent die Handels- und Rohstoffpolitik der EU gegenüber der SADC seit ihrer Gründung. Dabei wird die EU-Analyse versiert in weltwirtschaftliche Trends eingebettet. Sodann rekonstruiert Herr Lang die zunächst die zwei zentralen Etappen der EU-Rohstoffpolitik, um anschließend den Verhandlungsprozess des EU-SADC-EPA nachzuzeichnen. Die Verhandlungsmaterie wie die Positionen beider Seiten, auch einzelner afrikanischer Länder, werden kenntnisreich aufgefächert und kritisch bewertet, v.a. die Interessengegensätze zwischen EU und SADC. Aus Sicht des Autors reflektiert die Verhandlungsführung der EU deutlich die Ideen eines neoliberalen Hegemonieprojektes, auch wenn am Schluss der Verhandlungen linksliberal-alternative Ideen, bedingt durch die Zurückhaltung der Industrieverbände und eine starke NGO-Kampagne, das Abkommen nachhaltig prägen konnten.
Die Arbeit ist in hohem Maße konsistent im Forschungsdesign und in ihrer theoretisch-methodischen Grundlegung. Die komplexe Theorie ist konzise auf hohem intellektuellem Niveau dargestellt. Zwar konnten leider keine Interviews v.a. in Brüssel durchgeführt werden, doch ist die umfängliche Sekundärquellenarbeit durch gute Primärquellenrecherche ergänzt, insbes. von Unternehmensverbänden und NGOs. Analytisch argumentiert die Arbeit auf einem hohen Niveau. Die kritische Distanz des Autors zum Untersuchungsgegenstand wird gut begründet und ist zugleich differenziert. Der Autor geht souverän mit der Literatur um. Die sprachliche Umsetzung ist versiert und inzwischen sehr ungewöhnlich für eine Examensarbeit.
Prof. Dr. Rafael Biermann