Bericht zum trinationalen Workshop “Revolution! Politische Umbrüche und Neuanfänge in der Geschichte Frankreichs, Deutschlands und Polens” vom 9.-10 Januar 2015
Kooperation des Lehrstuhls für politische Theorie und Ideengeschichte & des Weimarer Rendezvous mit der Geschichte
Revolution! Politische Umbrüche und Neuanfänge in der Geschichte Frankreichs, Deutschlands und Polens
Studierende aus Paris, Jena und Poznań formulieren ‚Jenaer Appell‘
Im Nachklang des Weimarer Rendezvous mit der Geschichte fand am 9. und 10. Januar ein trinationaler Workshop statt. Angelehnt an das Weimarer Dreieck kamen Studierende aus Polen, Frankreich und Deutschland zusammen, um über die Bedeutung von Revolutionen und Umbrüchen in der Geschichte zu diskutieren. Die Zusammenkunft wurde durch die Vorkommnisse in und um Paris geprägt, auch in Jena hieß es „Nous sommes Charlie!“
Zur festlichen Auftaktveranstaltung am Freitagabend im Senatssaal der Friedrich-Schiller- Universität Jena kamen zu den angereisten Gästen aus Paris und Poznań eine Gruppe Politikstudierende aus Jena sowie zahlreiche Ehrengäste. Die Veranstaltung sollte im Rahmen des jährlichen stattfinden Weimarer Rendezvous mit der Geschichte bereits im November 2014 stattfinden, doch der damalige Bahnstreik der GDL machte allen Organisationen im Vorfeld einen Strich durch die Rechnung. Sie sei „den Studierenden dankbar, die sich nicht auf eine Kompromisslösung einlassen wollten“ verkündete Franka Günther, Leiterin des Weimarer Rendezvous mit der Geschichte, zur Eröffnung. Der Wunsch einer persönlichen Begegnung wurde durch die Organisatoren auch im Nachgang möglich gemacht.
Die hohe Bedeutung des wissenschaftlichen Austausches über nationale Grenzen hinweg stellte Prof. Dr. Seufert, Dekan der Fakultät für Sozial- und Verhaltungswissenschaften in den Vordergrund. „Die Zusammenkunft sei der gelebte europäische Geist“ konstatierte die Thüringer Staatssekretärin für Europa und Kultur, Dr. Babette Winter, die es sich nicht nehmen ließ, ihr erstes Grußwort im Amt im Rahmen des Weimarer Rendezvous zu halten. Kathleen Schlüter für die Deutsch-Französische Hochschule hob erneut die turbulenten Umstände für die Anreise der französischen Delegation hervor und verwies auf das Zusammenstehen innerhalb Europas über Grenzen hinweg. „Das Dreieck als resistenteste geometrische Figur“ werde „auch an diesem Wochenende durch ein starkes Fundament zusammengehalten,“ machte Dieter Hackmann als Präsident des Weimarer Dreiecks e.V. deutlich.
Die verantwortlichen Koordinatoren stiegen mit der ersten inhaltlichen Sitzung zum Revolutionsbegriff und seiner historischen Bedeutung, moderiert von Prof. Dr. Michael Dreyer, ein. Das Verständnis von Revolution sei unterschiedlich geprägt. „Im polnischen Sprachgebrauch meint der Begriff die Französische Revolution, alle andere Ereignisse werden lediglich als Aufstände verstanden“ stellte Dr. Katarzyna Woniak vom Zentrum für Historische Forschung Berlin der Polnischen Akademie der Wissenschaften fest. Generell sei die Revolutionsforschung seit Hannah Arendt im Wissenschaftsdiskurs erweitert worden, merkte Andreas Braune, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Politikwissenschaft, an. „Geschichte wird gemacht“ resümierte Dr. Bertrand-Souville (Paris). Kategorisierungen würden meist nicht durch Zeitgenossen selbst, sondern ex post vorgenommen. Außerdem sei eine Auseinandersetzung mit geschichtlichen Umbrüchen in der Erinnerungskultur auf runde Jubiläen beschränkt. Die Diskussion bot die Basis zur Fortführung für die anwesenden Studierenden aus Poznań, Paris und Jena am nächsten Seminartag.
Im Vorfeld des Workshops hatten sich die Studierenden nicht mit der eigenen, sondern mit der Geschichte eines der Partnerländer des Weimarer Dreiecks auseinandergesetzt. Die polnischen Studierenden widmeten sich der/den Französischen Revolution(en), die französischen Studierenden der „friedlichen Revolution“ 1989 in der DDR und die deutschen Studierenden dem polnischen Aufstand von 1830 und dem Jahrzehnt der Solidarność-Bewegung von 1980-90.
Nach anschaulichen Präsentationen wurde im Verlauf intensiv über das Spannungsverhältnis von historischen Ereignissen und die gemeinsame Erinnerung über Grenzen hinweg diskutiert. Kann es eine gemeinsame europäische Erinnerung geben? Dabei zeigte sich, dass es die Werte der französischen Revolution – liberté égalité fraternité – waren, die unsere heutige gemeinsame Wertegrundlage bilden. Der Drang nach Freiheit brachte die Menschen in der DDR und zuvor in Polen auf die Straße. Doch auch die Ambivalenz von Revolutionen und ihrer Darstellung sollte nicht außen vor gelassen werden. „Die Freiheit war teuer und schmerzhaft“, kommentierten die Gäste aus Polen die historische Transformation in ihrem Land.
Als Fazit stellte die Gruppe fest, Erinnerungen sind keine physischen Orte. Erinnerung ist beeinflusst durch Erzählungen und Lehre sowie eine Generationsfrage. Die Generation, die an diesem Wochenende zusammen kam, hat die letzte große historische Umwälzung nicht – oder zumindest noch nicht bewusst – miterlebt. Dies sei ein wichtiger Faktor für die Errichtung von Gedenkstätten und ihre Standortwahl.
Es bleibt die Frage, wie aus dieser Situation heraus eine gemeinsame Erinnerung in Europa entstehen kann. Dabei stellt der Rahmen des Weimarer Dreiecks bereits selbst durch lebhaften Debatten und den trinationalen Dialog einen Teil der Antwort dar.
Unter dem Eindruck der Pariser Attentate und der trinationalen Zusammenkunft richteten die Studierenden einen „Jenaer Appell“ an die Politik und an die Zivilgesellschaft, sich verstärkt im Sinne eines friedlichen Europa auf Basis der Werte der Französischen Revolution zu engagieren.