Geschichte

Am 17. Februar 1993 wurde das Institut für Politikwissenschaft der Friedrich-Schiller-Universität Jena in Anwesenheit des Thüringer Ministerpräsidenten Dr. Bernhard Vogel und des Thüringer Ministers für Wissenschaft und Kunst Dr. Ulrich Fickel feierlich eröffnet. Nach der Überreichung der Gründungsurkunde durch den Rektor der Universität, Professor Ernst Schmutzer, fand ein Symposium zum Thema “Deutschland und Europa” statt, in dem prominente Fachvertreter des In- und Auslandes das neue Institut der Öffentlichkeit vorstellten.

Der Eröffnung des Instituts war eine Vorbereitungsphase vorausgegangen, in der eine Vielzahl von Fachkollegen als Gastprofessoren und als Mitglieder der Struktur- und der Berufungskommission das Terrain für die Gründung bereitet hatten: u.a. Karl-Dietrich Bracher, Hans-Peter Schwarz, Hans-Jürgen Puhle, Frieder Naschold, Wilhelm Hennis, Wolf Rosenbaum, Luigi Graf Ferraris und Ludger Kühnhardt. Nachdem die ersten Rufe im März 1992 ergangen waren, wurde der Lehrbetrieb im Wintersemester 1992/93 durch die erstberufenen Professoren Ulrich Hilpert (Vergleichende Regierungslehre), Karl Schmitt (Deutsche Regierungssysteme im europäischen Vergleich) und Reimund Seidelmann (Internationale Beziehungen und Außenpolitik) sowie deren Mitarbeiter aufgenommen.

Mit der Errichtung des Instituts für Politikwissenschaft hatte sich nach dem Untergang der DDR und der deutschen Vereinigung auch die Friedrich-Schiller-Universität Jena in eine Entwicklung eingeordnet, die zur Etablierung der Politikwissenschaft als eigenständiger Disziplin im Fächerkanon der großen Universitäten Europas geführt hatte. Gleichwohl war politisches Denken, politikwissenschaftliche Forschung und Lehre an der Jenaer Universität seit ihrer Gründung heimisch gewesen. Melanchton, der Praeceptor Germaniae, dem die Universität ihre erste innere Architektur verdankt, verankerte bei ihrer Gründung die Lehre der aristotelischen Ethik und Politik. Wie nicht zuletzt die großen Namen Schiller, Fichte, Schelling und Hegel belegen, ist die Auseinandersetzung mit politikwissenschaftlichen Fragestellungen zu keiner Zeit abgerissen. Dies gilt auch für die vier Jahrzehnte der DDR-Ära. Im Gegensatz jedoch zu der seit 1968 bestehenden Sektion Marxismus/Leninismus, die ihre Lehre unumstößlicher weltanschaulicher Wahrheiten für alle Studenten der Universität obligatorisch machte und für alle ihre Disziplinen eine Rolle als verbindliche Leitwissenschaft durchzusetzen suchte, beansprucht die Politikwissenschaft weder, die Geltung politischer Werte zu dekretieren noch als Herrschaftswissenschaft zu fungieren oder gar eine Führungsrolle in der Universität zu übernehmen. Die Politikwissenschaft kehrte an die Jenaer Universität zurück als eine Fachdisziplin im Konzert gleichberechtigter Fächer, die in Unabhängigkeit gegenüber Staat und Gesellschaft der Selbstaufklärung eines freiheitlichen Gemeinwesens dient.

Die Anfänge der Arbeit des Instituts für Politikwissenschaft waren ihren äußeren Umständen nach recht schlicht und bescheiden. Im Wintersemester 1992/93 waren knapp 30 Studenten im Fach eingeschrieben. Das Institut residierte zunächst im 13. Stock des Universitätsturms; in der Lehre mußte zunächst weitgehend auf den Leihverkehr und auf Fotokopien auswärtiger Bibliotheken zurückgegriffen werden.

Der Auf- und Ausbau des Instituts ging mit Unterstützung der Universitätsleitung und des Wissenschaftsministeriums durch großen Einsatz der Lehrenden, der Mitarbeiter in der Verwaltung und in der mit dem Institut für Soziologie gemeinsam betriebenen Bibliothek zügig vonstatten, so daß das Institut nach vier Umzügen (ehemaliges Zeiss-Hauptwerk Krautgasse, ehemaliges Zeiss-Südwerk Otto-Schott-Straße 41, neuer Campus Carl-Zeiß-Straße 3, Ernst-Abbe-Platz 8 und nun wieder in der Carl-Zeiß-Straße 3) bis Ende der 90er Jahre personell und in seiner Sachausstattung konsolidiert werden konnte. Im Sommersemester 1995 erfolgten die noch ausstehenden Stellenbesetzungen: den Lehrstuhl für Politische Theorie und Ideen-geschichte übernahm Professor Klaus Dicke, die Professur für Didaktik der Politik Professor Wolfgang Sander. Nach der Berufung von Professor Seidelmann und Professor Sander an die Universität Gießen traten im Sommersemester 1998 Professor Helmut Hubel und im Wintersemester 1999/2000 Professor Carl Deichmann deren Nachfolge an. In der Zeit der Vakanzen wurde der Lehrkörper durch Vertretungs- bzw. Gastprofessoren (Professor Franz Neumann, Gießen, Professorin Sylvie Lemasson, Grenoble und Privatdozent Dr. habil. Christiano German, Eichstätt) verstärkt, um den durch die rasch ansteigenden Studentenzahlen (Sommersemester 2002 über 1300 Studierende) bedingten Lehrbedarf abzudecken. Hinzu kam eine zunehmende Zahl von Lehrbeauftragten, die nicht zuletzt den Bezug zur politischen Praxis und damit zu zukünftigen Berufsfeldern der Absolventen verstärken. Außerdem bereicherten Gastprofessoren das Lehrangebot: Die DAAD-Gastprofessoren Erhard Cziomer, Krakau, und Làszlo Kiss, Budapest, lehrten im Sommersemester 1996 bzw. 1999, im Studienjahr 1999/2000 wirkte Fulbright-Gastprofessorin Ann Philipps, Washington, D.C., mit.

Besondere Aufmerksamkeit schenkt das Institut der Ausbildung von Sozialkundelehrern an den Thüringer Gymnasien. Um bereits im Schuldienst stehende Lehrer für dieses 1990 neu eingeführte Fach zu qualifizieren, wurden von 1993 bis 1996 in Zusammenarbeit mit dem Thüringer Kultusministerium und dem Thüringer Institut für Lehrerfortbildung, Lehrplanentwicklung und Medien drei einjährige Kurse durchgeführt, in denen ca. 100 Sozialkundelehrer auf ihre Examina vorbereitet wurden. Seither ist die Weiterbildung von Lehrern in den regulären Lehrbetrieb integriert. Um der zunehmenden Nachfrage nach postgradualen Abschlüssen ausländischer Studierender gerecht zu werden, wurde 1998 neben den bestehenden Lehramts- und Magisterstudiengängen der einjährige Studiengang eines “Master of Politics” eingeführt. Zugleich wurde das Auslandsstudium der Jenaer Studierenden energisch gefördert, teils durch bilaterale Vereinbarungen (u.a. University of Louisiana, Baton Rouge, Institut d’Études Politiques de Paris), teils durch den Aufbau von ERASMUS- bzw. SOKRATES-Netzwerken.

Von Anfang an hat sich das Institut stark in der Forschung engagiert. Professor Seidelmann leitete drittmittelgeförderte Projekte zur Rüstungskontrolle in Westeuropa und zu einer neuen Sicherheitsarchitektur in Osteuropa. Professor Schmitt bearbeitete mehrere Projekte zur Wahl-, Parteien- und Elitenforschung. Professor Dicke leitete Projekte zu Kants Schrift “Zum ewigen Frieden”, zur Theorie der Menschenrechte und zur historischen Politikwissenschaft in Thüringen. Professor Hubel führte Forschungen zu Konfliktregionen im Nahen Osten und Zentralasien und zu den trilateralen Beziehungen zwischen Deutschland, Israel und den USA durch. Professor Knill bereicherte die Jenaer politikwissenschaftlichte Forschung mit Arbeiten zur Europäischen Integration auf dem Hintergrund der Globalisierung sowie zu europäischen Verwaltungsinstitutionen, und Professor Deichmann widmete sich der politikdidaktischen Forschung und Lehre in enger Zusammenarbeit mit Thüringer Schulen und Bildungseinrichtungen.

Ein Teil der Ergebnisse dieser Vorhaben wurde in der institutseigenen Publikationsreihe “Jenaer Beiträge zur Politikwissenschaft” veröffentlicht, in der bislang sechs Bände erschienen sind. Gastvorträge und Tagungsbeiträge, die teilweise auch aus der engen Kooperation mit dem Collegium Europaeum Jenense und dem Hellmut-Loening-Zentrum für Staatswissenschaften erwachsen sind, wurden in der ebenfalls vom Institut herausgegebenen Reihe “Forum Politicum Jenense” publiziert.

Weder eine anspruchsvolle akademische Lehre noch die Forschungsvorhaben wären ohne den raschen Ausbau der Institutsbibliothek möglich gewesen. In einer jahrelangen herkulischen Anstrengung haben die Bibliotheksmitarbeiter zunächst die vorhandenen Bestände neu systematisiert, wurden umfangreiche Bücherspenden (Stiftung Volkswagenwerk, Konrad-Adenauer-, Hanns-Seidel-, Thyssen-Stiftung, Kuratorium Unteilbares Deutschland, WSI-Bibliothek des DGB, ehemalige Studenten der Friedrich-Schiller-Universität) eingearbeitet. Dank der durch die Universitätsleitung zugewiesenen Finanzmittel konnten in der Folge nicht nur die laufenden Neuerscheinungen beschafft, sondern durch Rückerwerbungen (u.a. auch kompletter Bibliotheken verstorbener Fachkollegen) auch die seit den 50er Jahren erschienene Literatur aufgenommen werden. Dies gilt insbesondere für die wichtigsten Fachzeitschriften, die inzwischen in lückenloser Reihe verfügbar sind.

Nach nur wenigen Jahren des Aufbaus kann das Institut für Politikwissenschaft in Forschung, Lehre und Ausstattung ein Niveau vorweisen, das den Vergleich mit den in Jahrzehnten gewachsenen Instituten westdeutscher Universitäten in keiner Weise zu scheuen braucht. Was die Betreuungsrelation zwischen Lehrenden und Studierenden betrifft, hat das Institut, trotz stark steigender Studentenzahlen, noch immer einen besonderen Vorzug aufzuweisen – nicht zuletzt dank des vorbildlichen Einsatzes des akademischen Mittelbaus.