Zum Tod von Professor Alfred Grosser (1925-2024)
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Bereits vor fast 50 Jahren, 1975, ist der französische Politikwissenschaftler Alfred Grosser für seine großen Verdienste um die deutsch-französische Aussöhnung in der Frankfurter Paulskirche mit dem Friedenspreis des deutschen Buchhandels ausgezeichnet worden. 1925 geboren, waren seine Eltern mit den Kindern wegen der wachsenden Gefahr für deutsche Juden bereits Ende 1933 nach Frankreich emigriert. Der Vater verstarb schon bald nach der Emigration, aber die Mutter und die Kinder erhielten 1937 die französische Staatsbürgerschaft. Obwohl Alfred Grosser sich stets als „echter Franzose“ verstand, blieb er seinem Geburtsland wissenschaftlich, intellektuell und politisch eng verbunden.
Von Zeugen wurde überliefert, dass ihn am 9. November 1989 während eines Kolloquiums mit Studierenden die Nachricht vom Mauerfall in Berlin erreicht hat und zu Tränen gerührt habe. Die Ereignisse in der DDR haben ihn unmittelbar dazu gebracht, seine Funktion als intellektueller Brückenbauer zwischen der Bundesrepublik und Frankreich auch auf die sich auflösende DDR auszudehnen. Dabei stellte er auch sehr schnell eine Verbindung zu Jena her. 1990 nahm er am vom Collegium Europaeum Jenense und Ulrich Zwiener organisierten Wartburgfest teil. Seit der Gründung des Instituts für Politikwissenschaft der FSU im Jahr 1993 war er mehrfach in Jena zu Gast und unterstützte hier den Aufbau und die gesamteuropäische Profilierung der Politikwissenschaft. Beispielsweise half er, ein vom DAAD und dem Deutsch-Französischen Jugendwerk finanziertes Austauschprogramm mit dem renommierten Pariser Institut d'Études Politiques, an dem er selbst seit 1955 lehrte, ins Leben zu rufen.
Bei einem seiner Besuche hatte ich irgendwann in den 1990er Jahren – damals noch als wissenschaftlicher Mitarbeiter – die Ehre, ihn zum Leipziger Flughafen zurückzufahren. Sein Buch über die Bundesrepublik, „Deutschlandbilanz“, hatte mich schon während meiner Schulzeit im Sozialkundeleistungskurs begleitet und sein Buch über das westliche Bündnis, „Les Occidentaux“, während des Studiums. Aber eine gewisse ehrfürchtige Befangenheit meinerseits hat er schnell dadurch überwunden, dass er heiter und freimütig von seinen vier Söhnen, die etwa in meinem Alter waren, und deren Karrieren erzählte. Und indem er sich ein wenig über die Ausstattung deutscher Professoren mit wissenschaftlichen Mitarbeitern und studentischen Hilfskräften mokierte: Er müsse alle seine Kopien selbst machen. Was rückblickend den Respekt für Alfred Grossers enorme wissenschaftliche und publizistische Produktivität nur noch vergrößert.
Die europäische Politikwissenschaft hat einen ihrer Großen verloren und die FSU Jena einen Freund.
Prof. Dr. Torsten Oppelland, 12.02.2024