Fehlstart - ein heiteres Spiel der Kräfte

Fehlstart - Ein heiteres Spiel der Kräfte?

Auf dem Institutsgelände steht seit 2001 ein Kunstwerk, welches nur im vorbeigehen wahrgenommen wird. Für viele sind die Skulpturen unverständlich.
Fehlstart - ein heiteres Spiel der Kräfte
Foto: Janett Paetz

„Ein heiteres Spiel der Kräfte – Fehlstart ?“ -  Kunstobjekt im Außenbereich des Instituts für Sportwissenschaft der Friedrich-Schiller-Universität Jena

Autor: Prof. Dr. Hans-Alexander Thorhauer (2024)

Seit 2001 steht im Gelände des Instituts für Sportwissenschaft der Universität Jena eine „Plastik“ , die nur im Vorbeigehen wahrgenommen und überwiegend nicht „verstanden“ wird. Im Folgenden sollen einige Informationen und mögliche Sichtweisen sowie personenbezogene Daten zum Künstler Martin Neubert dem besseren Verständnis des Kunstobjektes dienen.

Nach grundhafter Sanierung der Institutsgebäude 1996/97 erfolgte eine öffentliche Ausschreibung für ein Kunstobjekt im Außenbereich des Instituts. Die Beiträge der beteiligten Künstler*innen erfolgten anonym. Ihre Vorstellungen hatten sie

in Zeichnungen, Beschreibungen oder  in Objekt – Modellen visualisiert. Die Jury entschied sich mehrheitlich für Martin Neubert,  der eine Plastikgruppe realisieren wollte, die sich durch einen konstruktivistischen Ansatz heraus hob und sich durch verschiedene Objektformen, Materialien und subtil eingesetzte Farbgebungen kennzeichnete. Damit kann man die gewählte Gestaltung als Konzeptkunst verstehen, „in denen die Idee hinter einem Werk wichtiger ist, als das eigentlich Produkt“ (vgl. ORMISTON,  S. 138;  https://de.wikipedia.org/wiki/Externer Link; https://www.kunstplaza.de/kunststile/).

Entstanden ist eine raumakzentuierende Plastikgruppe vor allem bestehend aus 3 farbig gefassten Betonstelen und diversen Stahlträgerelementen.

Optisch wird die Plastik auf der einen Seite durch einen wuchtigen, knapp 1 m hohen, leicht geneigten Säulenstumpf im Durchmesser von 1,3 m mit auffällig platziertem, sackähnlichem Aufsatz begrenzt.

Auf der entgegengesetzten Seite schließt die Plastikgruppe mit einer betonierten Wand von 3,00 x 1,10 x 0,10 m ab. Eingearbeitet ist ein Text, der Anregungen zum Verständnis der Plastikgruppe geben will. Die einzelnen Strukturelemente sind längs eines weißen Metallstreifens gruppiert. Insgesamt hat die Plastik eine Ausdehnung von rund 12 m.

Die differenzierte Farbgebung ist dabei Bestandteil der Gestaltung und zudem Hilfestellung zum Verständnis der Grundaussagen des Skulptur-Ensembles.

2021 wurde die Farbgebung vom Künstler konservatorisch erneuert !

Mit der Bezeichnung seiner Plastik als „Heiteres Spiel der Kräfte – Fehlstart ?“ verweist der Künstler auf eine gewisse Ambivalenz, die er in seiner Kindheit und Jugend im Schulsport mit körperlicher Belastung und den damit verbundenen Herausforderungen hatte. Auf der Einweihungsfeier 2001 führte M. Neubert  dazu aus:

„Im Mittelpunkt sportlicher Betätigung steht für mich die einfache Lust an Bewegung. Diesem Gedanken folgend erarbeitete ich eine mehrteilige Skulptur, die durch das bildnerische Spiel als inhaltliches Gleichnis zu dieser Lust steht.  Der Kontrast von weichen, menschlichen Körperformen und den oft technisch geprägten Sportgeräten war Ausgangspunkt meiner Überlegungen.“ (vgl. Einladungs-Flyer 2001).

Ihm ist jedoch bewusst, das sportliche Betätigung nicht durch einfache Lust an Bewegung ausgefüllt ist. Mit dem Fragezeichen (?)  im exponierten Nachsatz der Plastik-Bezeichnung hat er ein solches Herangehen selbst als Fehlstartmöglichkeit angedeutet. Visualisiert ist dieser Gedanke zudem mit dem sackartigen Körper und den auffälligen Stahlspitzen am Beginn des Plastik-Ensembles. Der Künstler kommentiert dies wie folgt:

„Ich finde: Mit viel Anlauf und Schwung kann man trotz schwerer Füße schöne blaue Gedanken haben – oder einen weichen Hochsprung wagen, um gedanklich auf dem  Kernberg zu landen. Dagegen kann man  sich als kräftiger Sack verbiegen, wenn der Kopf  „Nicht Springen“ sagt, helfen auch Spikes nicht“ (vgl. Einladungs-Flyer 2001). Diesen Gedanken hat der Künstler auch in die abschließende Beton-Wand als seine

Die nachfolgende „Anfänger-Säule“, etwa 3,30 m hoch, verschärft diesen Ideen-Ansatz.

Wir können die rosarote Sockelfärbung und die seitliche Stützhilfe so verstehen, dass man an sportliche Bewegungen nicht unvorbereitet und ahnungslos herangehen sollte, denn „Lust“ ist untrennbar mit Befriedigung, Wollen, Wissen und eventuellen Hilfen (z.B. Spikes) verbunden, die so zu positiven Erlebnissen beitragen können. Das Spielerische, Freudvolle ist Bestandteil unseres Tuns, und jeder Mensch hat Stärken und Schwächen und Ehrgeiz, der einen Mangel an Talent zumindest teilweise ausgleichen kann.

Schönfärberei, d.h. rosarot gefärbte Sichtweisen, helfen dabei allerdings nicht wirklich. Die kleine seitliche „Stützhilfe“ deutet eher an, dass es nicht so sehr auf die Voraussetzungen im Sinne von „groß“ oder „klein“, „dick“ oder „dünn“ usw. ankommt, sondern auf das Wollen, sich mit bestimmten Anforderungen auseinander zu setzen. Optisch verstärkt wird dies durch eine geriffelte bzw. „gewickelte“ Oberfläche der beiden „gelb“ gefärbten Säulenabschnitte. Sie versinnbildlichen, dass es nicht „glatt gehen“ muss, sondern eher in kleinen Schritten („geriffelte" Struktur) bzw. stufenweise („gewickelte“ Struktur), was  Rückschläge und vielfache Versuche auf dem Weg „nach oben“ einschließt. Wie optisch sichtbar, können wir beide Aspekte als zusammengehörig verstehen. Die Farbe „Gelb“ will dabei das Positive dieses Bemühens auch im Sinne von „Versuch-Irrtum“ ins Bild setzen.

Mit der „Kronen-Säule“ wird dieser Prozess weitergeführt. Sie deutet an, dass es durchaus verschiedene Wege zum Erfolg gibt. Dies wird mit den Farben „Rosa“, „Gelb“ und „Signalrot“ angedeutet. Dabei wird, wie die Ausformung der Säule nahe legt, auf den kräftigen Sack des Säulenstumpfes am Anfang der Plastikgruppe Bezug genommen. Dieser „Fett-Sack“ ist durchaus leistungsfähig, wenn er gewillt ist, sich den Herausforderungen zu stellen.

Optisch wird dies mit dem rosa gefärbten, schräg ansteigenden Stelen-Sockel untersetzt. Soll heißen: Fortschritt im eigenen Tun ist nicht umsonst zu haben, sondern mit Geduld und Strebsamkeit zu versuchen. Dann kann es langsam aber stetig „bergan gehen“. Die Möglichkeit einer sportlichen „Krönung“ ist nicht ausgeschlossen. „Krönung“ ist hierbei individuell zu verstehen, etwa im Sinne des Erreichens einer selbst gestellten Aufgabe, positiver Rückkopplungen im Bewegungsvollzug, einschließlich von Lob und Anerkennung Dritter bis hin zu Erfolgen in Wettkämpfen. Dies kann so die Bereitschaft für erneutes Bemühen bis zum angeleiteten, systematischen Training fördern.  

Diese Gedanken werden mit der folgenden „Kernberg- Säule“ nachdrücklich vertieft. Die mit 4 m höchste Säule besteht aus einem mehrteiligen, massiv strukturierten Körper, der auf einem exponierten Stahlträger kühn in Richtung der Berg-Höhen ausgerichtet ist.

Neben Überlegungen zur Statik und Raumstruktur der Plastik ist es dem Künstler hier um die naheliegenden konkreten Bezüge zur Landschaft gegangen. Natur als Bestandteil sportlichen Tuns im Allgemeinen. Im Besonderen geht es aber um einen Bezug zu den unmittelbar über dem Institutsgelände aufragenden Kernbergen. Sie dienen dem Künstler im übertragendem Sinne als symbolische Sport-Gipfel. Sie können erreicht werden, wenn man es ernsthaft will und mit „Körper und Geist“ bei der Sache ist. Die erstrebenswerten (Kern-) Berge können so auch als Metapher z.B. für Spitzensport im eigenen Lebensweg  angesehen werden: Oft ist es steil und beschwerlich, es kann sich aber lohnen, dies als Herausforderung, als  Motivation zu verstehen. Mögliche Hilfen, einschließlich wissenschaftlicher Erkenntnisse, begünstigen diesen Weg.

Das Plastik-Ensemble findet längsseitig seine Begrenzung in einer weißen Metall-Linie.

Dies ist zuerst eine Raumlösung für die Gesamt-Gestaltung. Im übertragenden Sinne kann sie aber auch eine „Ziellinie“, „Startlinie“, „Absprunglinie“ oder „Begrenzungslinie“ eines Sportfeldes sein, wodurch der sportive Charakter der Plastik nochmals unterstrichen wird. Diese Begrenzungslinie schafft so eine assoziative Verbindung zwischen den Bestandteilen der Plastik und leitet bis an die abschließende Beton-Wand heran.

Diese Wand lässt sich als „Anzeige-Tafel“ verstehen, wie man sie als immanenten Bestandteil von sportlichen Wettbewerben kennt. Auf ihr werden Wettkampfergebnisse vermittelt, gibt es Hinweise für Zuschauer/Besucher oder sie informiert über bevorstehende Sportereignisse. Für das Gesamt-Ensemble war die Tafel dem Künstler so wichtig, dass er seine Sicht zum sportlichen Tun hier explizit  eingearbeitet hat. Der Text der Tafel ist allerdings nur noch schwer lesbar.  Wenn man sich einlässt, ihn zu entziffern, so sind auch hier Zielstrebigkeit und Phantasie herausgefordert.

Tafel-Text: „Mit viel Anlauf und Schwung kann man Trotz schwerer Füße schöne blaue Gedanken haben oder einen weichen Hochsprung wagen, um gedanklich auf den Kernberg zu landen. Dagegen kann man sich als kräftiger Sack verbiegen, wenn der Kopf „Nicht Springen“ sagt, helfen auch Spikes nicht“.

Das Kunst-Ensemble erzählt  trotz seiner Abstraktion spannende Geschichten, regt vielleicht immer wieder an, sich einzulassen auf die gewollte Vielfalt von Deutungen.  Es geht in der Skulptur allerdings nicht um einzelne Sportdisziplinen oder um realistische Darstellungen im Sinne eines „Denkmals“, wie wir sie etwa aus der Antike kennen und sie bis heute in mehr oder weniger realistischen Darstellungen würdigen (vgl. z.B. Thiel/Frick S. 22 ff; Witt, G.1969; Witt, G. 2005). In diesem Sinne ist die Plastik von Martin Neubert  Konzeptkunst, eine Kunstauffassung, zu der sich bereits in der deutschen Romantik, insbesondere bei Caspar David Friedrich (1774-1840), oder bei Philipp Otto Runge (1777-1810), Ansätze finden lassen (vgl. ILLIS S.157 ff; Kunstmagazin „art“, 11/2023, S. 160 f.).

Das markanteste Beispiel für Konzeptkunst in Deutschland ist aber das 2005 eingeweihte „Holocaust-Mahnmal“ in Berlin. Um die Gestaltung des Mahnmals gab es jahrelange Diskussionen. Entscheidend war letztlich, dass man mit traditionellen Mitteln dem Ausmaß der Verbrechen nicht gerecht werden kann. Die abstrakte Gestaltung soll mit dem beigefügten „Ort der Information“  zum erweiterten Nachdenken bis in die Gegenwart anregen.

(vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Denkmal_f%C3%BCr_die_ermordeten_Juden_EuropasExterner Linkhttps://www.stiftung-denkmal.de/denkmaeler/denkmal-fuer-die-ermordeten-juden-europas-mit-ausstellung-im-ort-der-information/Externer Link).

Konzeptkunst in Jena gibt es exponiert seit 1996 auf dem Universitäts-Campus im ehemaligen Zeiss-Werk-Gelände. Es sind noch 4 (von 5) gestaltete Fundobjekte der „Hudson River Valley Series“ von Frank Stella.

Auch hier  gehört zur Geschichte, dass diese Kunst heftige Reaktionen auslöste. Dabei ging es Frank Stella von Anfang an um den Zusammenhang von industrieller Revolution und dem politisch und sozialen Chaos seiner Zeit, wie er 1996 bei der Einweihungs-Veranstaltung hervorhob (vgl. Ehrmann-Schindelbeck/Fischer/Happe S.57). Stella nahm damit bewusst Bezug auf die sozialen Veränderungen in den USA, wie „Zerschlagung“ von Unternehmen, Arbeitsplatzverluste aber auch Neubeginn mit Parallelen, die er auch für Deutschland sah. Es waren Veränderungen, die bis in die heutige Zeit führen, und wir sie auch durch die Art der Kunst-Objekte in unserem Gedächtnis bewahren (können).

Martin Neuberts „Public Art“ in der Sportwissenschaft assoziiert eine Idee, die sich in vielfältigen Sichtweisen manifestiert und bewusst von realen Darstellungen abstrahiert. Dies schafft  Aktualität über die Zeit hinaus, setzt aber voraus, dass ich mich auf diese Denkweise einlasse und immer wieder in Frage stelle. Mit dem Plastik-Ensemble in der Sportwissenschaft sind dem Künstler Anregungen gelungen, die zur differenzierten Auseinandersetzung von Mensch – Bewegung – Leistung im sportlichem Wettbewerb auffordern. Ein entspanntes, ein heiteres Herangehen waren ihm hierbei Leitlinie ! Wir sind eingeladen, diese Vielfalt von Zugangsmöglichkeiten zu erkunden.

 

Zum Künstler

Martin Neubert  wurde 1965 in  Kleinmachnow/ bei Berlin geboren.

1984  Abitur in Jena.

1984- 1986 Töpferlehre in Bürgel, danach 1988-93 Studium an der Hochschule für Kunst und Design Burg Giebichenstein, 06114 Halle (Saale), Fachgebiet Keramik.

Ab 1993 freiberuflich (vgl. https://www.burg-halle.de/)

2006–2008 Gast- und Vertretungsprofessur und seit 2009 Professor für Plastik/Keramik an der Hochschule Burg Giebichenstein in Halle, Fachbereich Kunst.

Er ist Mitglied im Verband Bildender Künstler Thüringen und seit 2004 wohnhaft in Weimar.

Die Schwerpunkte seiner künstlerischen Tätigkeiten liegen in der Bildhauerei, Keramik und Grafik. Ausstellungen und Projekte im In- und Ausland, u. a. in Österreich, der Schweiz, den USA (Laramie) und China (Guangzhou). (vgl. u.a. https://www.burg-halle.de/hochschule/information/personen/p/martin-neubert/Externer Link)

Plastik, gesamt Nord-Süd-Achse (2023)

Literatur:

➢      „art“ Kunstmagazin, 11/2023

➢      Ehrmann-Schindlbeck/Fischer/Happe (Hrsg.): „Frank Stella - Neue Arbeiten“, Galerie der Stadt Tuttlingen, Friedrich-Schiller-Universität Jena 2014

➢     Hubert &Treff: Flyer zur Einweihung der Plastik „Ein heiteres Spiel der Kräfte“, Jena 2001

➢     Illis, F.: „Zauber der Stille“, S. Fischer, Frankfurt 2023

➢      Ormiston, Rosalind: „Moderne Kunst“, Prestel München-London-New York 2016

➢      Thiel, E./Frick, M.: „Kunstfibel“, Henschelverlag, Berlin 1987

➢     Wiese, R./Hubert &Treff: Ausstellungskatalog zu Martin Neubert „Kleine Fragen – Große Fragen“, Jena 2002-03

➢     Witt, Günther: „Sport in der Kunst“, E.A. Seemann, Leipzig 1969                       

➢     Witt, Günther: „Skisport in der bildenden Kunst“, E.A. Seemann  Henschel, Leipzig 2005

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